Theoretisch habe ich einen recht großen Freundes- und Bekanntenkreis. Praktisch haben mich vermutlich 80% der Menschen bereits abgeschrieben, weil wir ewig keinen Kontakt mehr hatten.
Ich bin ehrlich: Freundschaft ist etwas, das sich für mich nicht quantitativ, sondern qualitativ bemisst. Eine ehemalige Freundin kündigte mir die Freundschaft, weil ich mich nicht genug mit ihr beschäftigte während ich drei Monate im Ausland war. Wohlgemerkt kam diese Kündigung als Antwort auf meine vorangegangene Mail, für die ich mir extra viel Zeit genommen hatte, um auf ihre Fragen einzugehen, von meinem Job und meinen Erlebnissen zu erzählen, ein Foto anhängte, das ich extra für sie aufgenommen hatte und in meinen Augen meine Freundschaft mehr als bewiesen hatte.
Aber Menschen haben da eben andere Maßstäbe. Mein Vater war da wie ich. Von sich aus melden war nie so seins, und meine Mutter hat ihn geradezu gezwungen, damit er mal seine Tanten anruft oder eine Weihnachtskarte schreibt. Na gut, mit unterschreibt. In seinem Kopf waren alle Menschen, die er mochte, Freunde. Und bei mir ist es auch so. Eine Bekannte sagte neulich mal, dass es völlig okay ist, wenn sie ihre beste Freundin mal für zwei Wochen nicht sieht oder hört, und ich dachte so bei mir „meine Beste sehe ich 4-6x im Jahr, andere habe ich seit Jahren nicht gesehen, halte aber online Kontakt oder telefoniere gelegentlich mit ihnen“.
Was das mit ADHS zu tun hat? Kontakt zu halten kostet Löffel. Im richtigen Moment daran zu denken, jemanden anzurufen, kostet viele Löffel. Generell kostet anrufen Löffel. Und zwar bei mir explizit der Akt des Anrufens. Wenn ich dann telefoniere, ist alles gut. Meine Schwester hat das verstanden und ruft einfach an oder fragt halt per WhatsApp, ob es gerade passt. Mit Meiner Mutter kam ich heute am Telefon auch auf das Thema, weil sie mal sagte, dass sie das Gefühl hat, sie sei mir egal, ich melde mich ja nie. Und das ist halt nicht richtig. Ich denke viel an sie, aber meistens in Situationen, in denen Telefonieren gerade nicht geht (im Auto – ich hasse Freisprechanlagen; bei der Arbeit, beim Sport, you name it). Wenn ich dann zuhause bin, bin ich meistens so erschlagen vom Tag, dass da keine Löffel mehr sind. Ich bin froh, wenn ich es schaffe, etwas zu kochen und vielleicht noch die wichtigsten Handgriffe im Haushalt zu machen, bevor ich auf der Couch festwachse.
Aber gut. Wir haben darüber gesprochen und ich habe versucht, es ihr verständlich zu machen. Wir sind jetzt so verblieben, dass sie nicht gegenrechnet, wer häufiger anruft und ich dafür hin und wieder versuche, sie anzurufen. Seien wir ehrlich – das wird nur klappen, wenn ich es in meine ToDo-App eintrage. Die mir gelinde gesagt seit anderthalb Jahren ziemlich sicher den Arsch rettet.
Und dann kommt da auch der Punkt rein, mich bei der Freundin zu melden (ehemalige Freundin, muss ich wohl schreiben), zu der meine Mutter nach wie vor Kontakt hat und zu der die Freundschaft mit einem ziemlich blöden Gefühl auf beiden Seiten endete. Einfach, weil wir beide zu der Zeit so unfassbar auf dem Zahnfleisch gingen, dass unsere Kommunikation in einer Katastrophe endete. Und mein zaghafter Versuch einige Jahre später, die Freundschaft zu reanimieren, wurde von ihr (aus meiner Sicht) ernüchternd abgeschmettert. Aber ich vermisse sie. Und ich weiß, dass sie gegenüber meiner Mutter mal geäußert hat, dass sie es auch bedauert, dass es so gekommen ist. Und vielleicht, ganz vielleicht, ist das Kind noch nicht ertrunken und man kann es mit einer langen Leiter und viel Geduld wieder aus dem Brunnen fischen. Wir werden sehen.
Insgesamt ist Kommunikation ein Thema bei mir. Ich kann nonverbale Kommunikation, aber sie zu entziffern, kostet mich ungleich mehr Energie als direkte Ansagen. Leider habe ich einen Chef, der komplett resigniert hat, was das Verteilen wichtiger Infos an die Kollegen und unsere Kunden angeht, was mich wiederum regelmäßig die Augen rollen und die Haare raufen lässt. Versteht mich nicht falsch: Ich mag meinen Chef wahnsinnig gerne. Er macht seinen Job gut! Aber „die lesen das ja eh nicht“ ist in meinen Augen keine Rechtfertigung dafür, Informationen nicht zu verbreiten. Denn dann kann jeder sagen „hab ich nicht gewusst“, während man andernfalls sagen kann „es wurde dir zur Verfügung gestellt und ist dein Job, es zu lesen.“
Man unterstellt mir in vielen Bereichen, mich eher männlich zu verhalten. Je älter ich werde, desto mehr zweifle ich an, dass es wirklich „weibliches“ und „männliches“ Verhalten gibt, das nicht soziokulturell angeeignet ist. Aber das nur am Rande. Was Kommunikation angeht, falle ich mit der Tür ins Haus. Mein Ex rief seine Mutter an, schlich fünf Minuten um den heißen Brei, bis sie sagte „nun sag schon, dass ich deine Wäsche bügeln soll“. Er hielt das für einen sehr geschickten Schachzug, weil sie es ja quasi angeboten hat. Ich hielt es für nervige Manipulation und außerdem Zeitverschwendung, weil „Muttern, bist du da und hast du Zeit und Nerven, meine Hemden zu bügeln, dann bringe ich sie jetzt rüber und wir schnacken noch ne Runde bei einem Kaffee“ irgendwie viel zielführender, weil man dann statt des „heißer Brei“-Smalltalks einfach zehn bis 30 Minuten echter Gespräche hätte führen können. Außerdem wäre sie dann nicht genervt gewesen. 😉
Ich mag klare Ansagen. Und ja, ich nehme mir heraus, Gefühle zu haben. Wenn man mir also sagt „du machst immer soooo, und das nervt“ (hier bitte Loriot und Evelyn Hamann vorstellen), dann mag es sein, dass ich im ersten Moment vor den Kopf gestoßen bin. Gefühle sind aber legitim und wir sollten sie alle viel mehr wertschätzen! Denn wenn ich weiß, dass „sooo“ zu machen mein Gegenüber nervt, dann kann ich überlegen, ob ich es lassen kann und will oder ob es eine andere Lösung gibt, mit der beide zufrieden sind. Wenn mir der andere nur tage- bis wochenlang die kalte Schulter zeigt, dann weiß ich zwar, dass irgendwas doof ist, aber nicht, was. Und wenn auf Nachfragen keine direkte Antwort kommt („nichts!“), dann weiß ich nur, dass mein Gegenüber nicht ehrlich ist. hilft genau nichts.
Klare Ansagen sind übrigens nicht zu verwechseln mit Abwertung, Bewertung, abfälligen oder verletzenden Kommentaren und unsachlicher Kritik. Wer so mit mir kommuniziert, wird merken, dass das auch nicht so gut ankommt. Aber mal ganz ehrlich: Wer mag das schon?
Also: Eventuell ist das mein autistischer Anteil, aber je klarer und schnörkelloser mir etwas mitgeteilt wird, desto besser kann ich damit umgehen. Ein ehemaliger Ausbilder von mir sagte mal, nachdem wir uns zu Beginn des Kurses selbst einschätzen mussten und ich „begrenzt kritikfähig“ geschrieben hatte: Du bist extrem kritikfähig und sehr selbstreflektiert. Dass du auf bestimmte Arten der Kommunikation emotional reagierst, hat nichts mit mangelnder Kritikfähigkeit zu tun.“ Und ich denke, er hatte Recht.
Wie ich mit anderen kommuniziere? Oft zu direkt. Und dann wieder will ich nicht verletzen, nicht anecken und versuche, mich an die eher verklausulierte Formulierungart der anderen anzupassen. Denn verletzen möchte ich niemanden, was mir leider aber immer mal wieder passiert, wenn ich zu direkt bin und nicht sehr genau darauf achte, wie man meine Worte eventuell auslegen kann. Daher bin ich dann manchmal selbst nicht so direkt, wie ich es gerne wäre und selbst gerne hätte. Da sind wir dann auch beim Masking. Ich verstelle mich, um nicht zu sehr aufzufallen. Tage, an denen ich viel maskieren muss, führen zu einem Overload und manchmal auch zu einem Meltdown. Ich schreie und schlage zwar nicht mehr wie als Kind, aber ich ziehe mich zurück und muss meine Akkus auftanken. Alles sehr anstrengend in mir.
Fazit: Kommunikation ist anstrengend. Und deshalb rufe ich so selten von mir aus an, weil der Akt, die Kommunikation einzuleiten, alleine schon sehr anstrengend sein kann. Aber ich gelobe Besserung. Auch, wenn ich dann hin und wieder maskieren muss und der Haushalt an den Tagen vermutlich vernachlässigt wird.